Lange Zeit mussten Beobachter der deutschen Digital-Medienwirtschaft sehnsüchtig auf Amerika und die dort in großer Zahl entstehenden Journalismus- und Publishing-Startups schauen. Mit Sobooks und Krautreporter gibt es endlich auch hierzulande entsprechende Vorstöße mit echter “Internet-DNA”.
Der deutsche Diskurs über digitale Innovation im Medien- und Publishing-Bereich sah in den letzten Jahren ungefähr so aus: Einschlägig bekannte Medienblogger sowie technologieaffine und damit “wissende” Meinungsführer beklagten mit Blick auf zahlreiche einfallsreiche Ansätze in den USA, dass sich hierzulande in diese Richtung nichts bewegt.
Der Herbst 2014 markiert deshalb einen kleinen, aber nicht unwichtigen Wendepunkt. Denn innerhalb kürzester Zeit sind in diesem Bereich zwei ehrgeizige Projekte aus Deutschland an den Start gegangen, die eine ausgewiesene “Digital-DNA” besitzen und die mutmaßlich nur wenig von dem Ballast mit sich herumschleppen, der den hiesigen General-Interest-Häusern beim kreativen Denken in neuen Bahnen im Wege steht: In der vergangenen Woche ging bei Krautreporter der Vorhang hoch. Wenige Tage zuvor feierte Sobooks seine Premiere.
Bei Sobooks handelt es sich zwar nicht um ein journalistisches Online-Angebot im eigentlichen Sinne, aber als soziale E-Book-Plattform mit HTML5-Web-App, einer positiven Grundhaltung gegenüber dem offenen, freien Web und zwei in “Szene”-Kreisen wie bunte Hunde bekannten Initiatoren, nämlich Sascha Lobo und Christoph Kappes, hebt sich der Dienst aus Hamburg doch deutlich von allen bisherigen Startups im Segment des elektronischen Lesens ab. Zudem gibt es zum Debüt einige interessante Offerten, etwa das sehr lesenswerte Buch “Das neue Spiel” von Michael Seemann über den digitalen Kontrollverlust. Das Buch kann bei Sobooks anders als die Mehrzahl der verfügbaren Titel kostenfrei gelesen werden kann. Native Reader-Apps für Sobooks sind zwar noch in Arbeit, aber der Genuss der Lektüre funktioniert auch über die Web-App und ein Tablet ganz gut, wie mein persönlicher Praxistest mit dem eben erwähnten Werk zeigte.
Kurz nach Sobooks nahmen in der vergangenen Woche auch die Krautreporter ihre Arbeit auf. Nach einer vielbeachteten Crowdfunding-Kampagne, in der rund eine Million Euro eingenommen wurden, verspricht das Berliner Startup werbefreien, unabhängigen Qualitätscontent, der die Community einbindet und sich nicht am zurecht vielgescholtenen Modell der Währung der Page Impressions orientiert – sondern an der Zufriedenheit der zahlenden Mitglieder.
Zwar muss sich das Projekt, an dem viele in Social-Media- und Blogger-Kreisen bekannte Köpfe mitwirken, wie schon während der Finanzierungsphase zum Launch wieder mit zahlreichen blitzschnellen Kritikern auseinandersetzten. Dennoch stellt Krautreporter den bislang anspruchsvollsten und ernstzunehmendsten Versuch dar, verlagsunabhängig auf einem soliden Fundament, mit einer beeindruckenden Crew und einem integrierten Geschäftsmodell, guten digitalen Journalismus in Deutschland zu machen.
Zu einem der ersten Beiträge, die bei Krautreporter erschienen sind – Stefan Niggemeiers Analyse angeblicher Medien-Manipulationen -, konstatiert Blogger Felix Schwenzel, dass allein dieser die 60 Euro Jahresgebühr wert sei. Wobei das Besondere an Krautreporter natürlich ist, dass derartige Texte auch nicht zahlenden Lesern zugänglich gemacht werden.
Mit relativen Newcomern wie Quartz, The Verge, Buzzfeed, Medium, Vox, The Upshot, FiveThirtyEight und Ozy hat die US-Digitalsphäre in den vergangenen Monaten und Jahren eine ganze Reihe von hoch gehandelten Journalismusvorhaben hervorgebracht. Deutschland steht im direkten Vergleich auch weiterhin bescheiden da – was sich schon darin äußert, dass ich eine E-Book-Plattform wie Sobooks in meine Betrachtung einbeziehe, um neben Krautreporter wenigstens noch ein zweites Beispiel anführen zu können.
Andererseits ist es angesichts der langen Durststrecke sowie des deutlich kleineren Sprachraums sinnvoll, das Glas lieber als halbvoll und nicht als halbleer zu betrachten. Dass sich nun eine Reihe der bekanntesten Macher der hiesigen Webszene als Initiatoren oder Unterstützer hinter neuartige Medienprojekte stellen, ist der Beginn einer Ära, in der nicht mehr nur aus dem heimischen Sessel in Thesen-Artikeln, Rants und 140-Zeichen-Nachrichten über die einheimische, innovationsfeindliche Branche philosophiert und gemeckert wird. Nun werden Tatsachen geschaffen. Von Leuten, die mit der Webökonomie vertraut genug sind, um die typischen Fettnäpfchen entweder gekonnt zu umschiffen, oder die zumindest verstehen, wie sie agieren müssen, sollten sie doch in welche tappen.
All das garantiert noch keinen Erfolg. Es liefert aber Grund zu Optimismus. Denn endlich bewegt sich etwas. Nachdem dies über so viele Jahre lautstark eingefordert wurde. /mw
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