Amazon hat aufgrund eines angeblichen Verstoßes gegen die Geschäftsbedingungen das Konto einer Nutzerin gesperrt und die Inhalte ihres Kindle-Readers aus der Ferne gelöscht. Der Vorfall zeigt, wie bisher selbstverständliche Verbraucherrechte im Cloudzeitalter unter Druck geraten.
Siehe Update am Artikel-Ende
Die Auslagerung von IT-Prozessen und lokalem Speicher in die Cloud hat viele Vorteile, aber auch Schattenseiten. An eine davon erinnert momentan Amazon mit einem besorgniserregenden Vorfall: Der Internetriese hat das Kindle-Konto einer norwegischen Nutzerin gesperrt sowie ihren E-Reader und alle getätigten E-Book-Einkäufe aus der Ferne gelöscht. Aus einer Mailkonversation mit dem Amazon Support, die hier dokumentiert ist, geht hervor, dass eine nicht näher definierte Verknüpfung ihres Accounts mit einem älteren, von Amazon sanktionierten Konto der Grund für diese harsche Maßnahme des Unternehmens aus Seattle sei. Trotz mehrmaligem Nachfragens weigert sich der Amazon-Vertreter aber, auf nähere Details einzugehen, und macht unmissverständlich deutlich, dass eine Wiedereröffnung des Kontos nicht machbar sei.
Nun darf man angesichts der sich gerade im Netz entwickelnden Empörungswelle über das dreiste und kundenunfreundliche Verhalten des Onlinekaufhauses getrost abwarten, ob diese Aussage Bestand haben wird. Immerhin führt der Vorfall vielen potenziellen Kindle-Nutzern vor Augen, was ihnen und ihren erworbenen Schmökern bei Fehlverhalten droht – selbst dann, wenn sie sich gar nicht über irgendein Fehlverhalten im Klaren sind.
Auch wenn Amazon hier mit seiner Reaktion weit über das Ziel hinausgeschossen ist und das Ereignis vermutlich hoffentlich zum Anlass nehmen wird, seine eigenen Richtlinien im Umgang mit Problemfällen zu verbessern und kundenfreundlicher zu gestalten, so wird sich an der grundsätzlichen Prämisse der Nutzung von gewerblichen Cloudangeboten nichts ändern: Sie besitzen die volle Kontrolle über die Konten der Konsumenten und damit auch über deren Daten und Inhalte. Sind die Unternehmen der Meinung, ein Kunde habe gegen ihre Geschäftsbedingungen verstoßen, werden sie auch in Zukunft nicht zögern, Sanktionen zu verhängen.
Fern-Löschung von gekauften Inhalten
Grundsätzlich ist eine derartige Vorgehensweise legitim. Problematisch wird sie, wenn die Unternehmen dabei den Zugang zu erworbenen Inhalten sperren oder Maßnahmen ergreifen, die einem gefühlten Eingriff in die Privatsphäre der Nutzer gleichkommen. Das Recht dazu räumt sich Amazon in seinen AGB ein:
“Wir behalten uns das Recht vor, Ihnen Services auf der Webseite vorzuenthalten, Mitgliedskonten zu schließen oder Inhalte zu entfernen oder zu verändern, wenn Sie gegen anwendbare Gesetze, diese Nutzungsbedingungen oder andere anwendbaren Vertragsbedingungen oder Richtlinien verstoßen.”
Schaut man sich auf den Hilfe-Seiten von Amazon um, ist eindeutig überall vom “Kauf” der Kindle-Bücher die Rede, nicht vom Mieten. Doch wenn ein gesperrtes Amazon-Konto zur Folge hat, dass sämtliche für bares Geld erworbenen E-Books nicht mehr zugänglich sind, dann entspricht dies eigentlich nicht der gängigen Definition eines Kaufs. Besonders brisant ist die mit einer Account-Sperrung verbundene Fernlöschung des Kindles. Deutlicher kann Anwendern nicht vor Augen geführt werden, wie im Cloudzeitalter die großen IT-Firmen die Kontrolle über ihre Mediennutzung ausüben (siehe dazu Update am Artikel-Ende).
Allen Käufern von digitalen Amazon-Inhalten muss klar sein: Wer gegen Regeln verstößt, kann alles verlieren, was bis dahin käuflich auf der Plattform erworben wurde. Gleiches gilt im Prinzip für sämtliche anderen Contentplattformen, die per Digital Rights Management (DRM) geschützte Inhalte verkaufen – und natürlich für sämtliche Streaming-Angebote auf Flatrate-Basis wie Netflix, simfy oder Spotify, wo sich Verbraucher allerdings von vorne herein darüber im Klaren sind, dass ihnen der Content nur so lange zur Verfügung steht, wie sie ihre monatliche Nutzungsgebühr zahlen.
Selbstverpflichtung der Konzerne ist erforderlich
Mit seinem drakonischen, in dieser Form nicht gerechtfertigten Vorgehen beschädigt Amazon das bei vielen Verbrauchern ohnehin nicht sonderlich stark ausgeprägte Vertrauen in den cloudbasierten Medienkonsum. Letztlich geht es nicht nur um Amazon, sondern allgemein um den Umgang der Webkonzerne mit Verstößen gegen Geschäftsbedingungen der User – die, wie das oben beschriebene Ereignis zeigt – mitunter wenig offensichtlich sein können. Erforderlich wäre eine Selbstverpflichtung der Cloudfirmen, bei einer Accountsperrung in der Vergangenheit käuflich erworbenen Inhalte weiter zugänglich zu machen, und von einer Fernlöschung dieses Contents von externen Zugriffsgeräten grundsätzlich abzusehen.
In einigen Jahren werden Standard-Geräte für den Zugriff auf die digitale Welt nur noch minimalen lokalen Speicher mitbringen. Googles neustes Chromebook bietet etwa lediglich 16 Gigabyte, ähnliches gilt meist für Tablets und Smartphones. Lokale Mediensammlungen werden in fünf bis zehn Jahren in den meisten Haushalten ein Relikt vergangener Zeiten darstellen und bestenfalls auf eingestaubten externen Festplatten lagern. Damit eine derartige Abhängigkeit von der Cloud, die Vorzüge wie günstigere, leichtere und weniger Energie benötigende Hardware mitbringt, aber Realität werden kann, müssen die Contentdienstleister die Kunden mit Respekt behandeln und ihnen die Verbraucherrechte einräumen, die sie in der analogen Welt auch genießen. Wie das nicht geht, zeigt das Beispiel Amazon.
Update: Die Behauptung, Amazon habe die auf dem Kindle gespeicherten Bücher aus der Ferne gelöscht, steht gemäß dieser Angaben auf wackeliger Grundlage, da der Kindle der Betroffenen zuvor bereits einen Defekt entwickelt hatte. Blogger Cory Doctorow hält es jedoch für nicht unwahrscheinlich, dass Amazon tatsächlich diese Möglichkeit besitzt – zumal es 2009 schon einmal einen Vorfall in diese Richtung gab.
Wie zu erwarten war, hat Amazon das gesperrte Konto aufgrund des öffentlichen Drucks mittlerweile wiederhergestellt.
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